Gehörbildung im Gesangsunterricht

Kaninchenohren schauen aus dem Gras hervor

Gehörbildung im Gesangsunterricht

Gerade bei Anfängern ohne Erfahrung mit Gehörbildung, komme ich im Gesangsunterricht immer wieder an Grenzen. Selbst einfache Übungen können von einigen Schülern nicht gesungen werden: Aus einem Terztriller wird plötzlich eine Sekunde, aus einer Oktave eine Quinte etc.
Ganz aus ist es dann bei dieser Tonfolge:

Der Anfänger weiß nicht, was eine Tonleiter ist und singt konsequent die Halbtonschritte zwischen 3-4 und 7-8 falsch. Das Konzept von einem triolischen 4/4-Takt (oder alternativ “normalen” 6/8 Takt) ist ebenfalls nicht im Körper verankert.
Letztendlich versucht der Anfänger, 13 Einzeltöne hintereinander zu singen – nur mit Bezug zueinander, als würde er einen Meter abmessen wollen, indem er 100 mal 1 cm hintereinander abmisst. Der replikative Fehler ist enorm.

Ebenfalls fehlt der harmonische Bezug. 13 Töne mit 12 mal der einen Tonlänge, und einmal der anderen Tonlänge, dazu noch an der richtigen Stelle atmen macht 27 “Items”, die im Kurzzeitgedächtnis behalten werden müssen.
Der erfahrene Musiker singt die Tonfolge spielend, indem er sie unbewusst clustert, d.h. Informationen in Päckchen zusammenfasst:
Durch Gehörbildung uns musiktheoretisches Verständnis kann solch eine Tonfolge einfach wiedergegeben werden.

  1. Gebrochener Dur-Akkord über die Oktave aufwärts
  2. Gebrochener Dominantseptakord bis zur Quinte über dem Anfangston abwärts
  3. Automatisch folgt das Ende in der Tonika
  4. Atmung ergibt sich aus der triolischen Struktur von ganz alleine

So wurden aus 27 Informationen zwei.
Natürlich bietet es sich immer an, neben dem Gesang auch noch ein weiteres Instrument zu spielen, vorzugsweise ein Instrument, welches Mehrstimmigkeit beherrscht, wie Klavier oder Gitarre – dieses ist aber aus vielerlei Gründen häufig nicht möglich. Was jedoch immer möglich ist, ist Gehörbildung.
Natürlich könnte ich die Gehörbildung in den Gesangsunterricht integrieren, der Zeitverlust von der wertvollen Stundenzeit ist aber erheblich und vor allem ist der Gesangsunterricht dafür zu wertvoll. Hier setzte ich voll auf geduldige Software, die selbst bei der teuersten Variante auf Dauer die kostengünstigste Lösung ist.

Mögliche Programme zur Gehörbildung

Ich empfehle meinen Schülern als erstes immer zwei Programme:


Perfect Ear für Android und iOS
Die Basisversion ist kostenlos und es lassen sich schon gute Ergebnisse damit erzielen. Die Vollversion kostet gerade einmal 3,50 €. Gerade mit dem Handy ist es heutzutage immer mal zwischendurch in kleinen Abschnitten zu üben – im Bus, in der Straßenbahn. Ich empfehle für Gehörbildung mit dem Handy, Kopfhörer zu benutzen.


Earmaster
Für Schüler, welche sich auf ein Studium vorbereiten oder im Studium sind geht meiner Meinung nach kein Weg an Ear Master vorbei. Ear Master 5 Essential gibt es neu für 30 €, es kann sich jedoch sehr lohnen, bei Ebay nach gebrauchten CDs zu schauen. Die aktuelle Version Ear Master 7 kostet 60 €, welche deutlich mehr Funktionen und Übungen als die Essential Version erhält. Diese 60 € sind eine Investition fürs Studium und darüber hinaus. Übrigens erhalte ich für die Verlinkung kein Geld, es sind keine Affiliate Links. Hier bleibe ich meiner Linie treu: Kein Tracking, keine Werbung (außer für mich selbst).

Alternative Software

Sehr interessant sind ebenfalls folgende Open Source Programme, welche teilweise Funktionen und Individualisierungsmöglichkeiten bieten, welche die kostenpflichtigen Programme nicht haben:


Eartoner

  • Tonleitern, Akkorde und Intervalle erkennen
  • Konfigurierbar – ich kann z.B. die Intervalle, die ich immer erkenne direkt ausschalten
  • unterstützt die Midi-Schnittstelle zur Ausgabe auf E-Pianos und Co.

Tete

  • ist durch Java plattformunabhängig, d.h. theoretisch könnt ihr es euch auf dem Handy installieren
    Java gibt’s hier, für die, die es noch nicht haben: (Das ist kein Kaffee, hat aber was damit zu tun…)
  • keine Midi-Unterstützung
  • “exotische Tonleitern”: Pentatonisch, Übermäßig, Harmonisch ungarisch (noch nicht mals bei Wikipedia auf Deutsch zu finden) etc.
  • hochgradig konfigurierbar

TK Solfege

  • wie die anderen Programme aber die Möglichkeit Rhythmusdiktate zu üben
  • Solfège üben möglich (Do-Re-Mi)
  • Unterstützt auch die Midi Schnittstelle

Solfge

  • 12-Ton-Reihen
  • viele Dinge der anderen Programme
  • Midi-Schnittstelle

Allgemeine Musiklehre

Musicca


Ich wünsche viel Erfolg mit den Programmen!

2 Gedanken zu „Gehörbildung im Gesangsunterricht

  1. Christoph Münch Antworten

    Das ist doch gerade ein Grundproblem der üblichen Gesangspädagogik – dass Ausbildung des Ohrs als Zeitverschwendung angesehen wird! Bzw. dass es überhaupt als etwas “Zusätzliches” gesehen wird.

    Es wäre überhaupt kein Problem, Bewusstsein für Intervalle und Tonalität ganz natürlich in den Unterricht zu integrieren. Dazu müsste einfach mit der unsäglichen Praxis aufgehört werden, alles auf dem Klavier vor- oder mitzuklimpern, und der Schüler immer wieder aufgefordert sein, die Melodie aus der inneren Klangvorstellung weiterzusingen, wobei a) das Klavier nur den Begleitakkord bzw. dessen Grundton liefert und b) die intervallischen bzw. tonalen Zusammenhänge der betreffenden Stelle thematisiert werden.

    Dass dies meist nicht geschieht – was nämlich die einzige Art wäre, die auf einen wirklich professionellen Umgang mit musikalischem Material vorbereitet – liegt, let’s face it, daran, dass Gesangslehrer oft selber nicht hinreichend Gehör und Theorie beherrschen. Oder sie sind zu sehr nur auf den stimmlichen und ausdrucksmäßigen Aspekt des Singens fixiert und betrachten alles andere (auch z.B., räusper, rhythmische Ausbildung…) als “Zeitverschwendung”. Deswegen diese übliche Papageienmethodik.

    • Cornelius Berger Autor des BeitragsAntworten

      Hallo und vielen Dank für Ihren Kommentar, dem ich auch grundsätzlich zustimme. Ihre Aussage zur Papageienmethodik kann ich voll und ganz unterstreichen. Leider ist das bis auf die Hochschulebene immer wieder zu beobachen bzw. zu hören. So funktioniert funktionaler Gesangsunterricht wenn er richtig gemacht wird zum Glück nicht. Es geht darum, die Stimmen aus inneren Reflexen zu entwickeln. Ein “ich will klingen wie” ist bei mir völlig fehl am Platz. Gehörbildung als Zeitverschwendung abzustempeln tu ich auch nicht, bin in dem Bereich selbst zum Glück auch sehr fit. Auch hier ist die Einstellung Vieler schon an den Hochschulen zu finden. So kommt es in den Kreisen der Sänger (KA) immer wieder vor, dass sich vor dem Fach Blattsingen gesträubt wird (braucht man ja nicht!) und am Ende unterrichten diese Leute dann doch Gesang.

      Das Problem bei mir ist ein ganz anderes, welches in dem Artikel zugegebenermaßen nicht ganz so klar wurde: Die jungen Frauen kommen teils mit 20 in den Unterricht und wollen Musical studieren – und da haben wir das Problem, denn dann muss in drei Monaten die Prüfung gemacht werden, weil sie schon drei Jahre zu alt sind. Und da ist absolut keine Zeit mehr für irgend etwas anderes außer Gesang, denn der ist häufig so, dass eine Gesangsprüfung nicht bestanden werden könnte. Ich überweise dann die Prüfungskandidaten und Kandidatinnen zu anderen sehr fortgeschrittenen Schülern, um dort zusätzlich Theorie und Gehörbildung zu machen, denn die sind in der Regel günstiger als mein Gesangsunterricht – und Geld ist immer ein wichtiger Faktor!

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